Perspektiven verschränken sich nicht zufällig. Sie entstehen dort, wo innere Klarheit (c-me) in ein getragenes Gespräch (c-us) überführt wird. Wer ohne diese Schwellen direkt von Fakten (c-it¹) zur Gestaltung (c-it²) springt, verfehlt jenen resonanten Kippmoment, in dem Sichtweisen einander justieren und neue Handlungsfähigkeit emergiert.
Warum der Weg über c-me → c-us unverzichtbar ist
c-me – Selbstklärung: Sortiert Anliegen, Befürchtungen, Zumutungen, Hoffnungen. Diese innere Präzision macht die eigene Sicht anschlussfähig und verhindert, dass im Dialog bloß diffuse Signale kollidieren.
c-us – Dialogisierung: Adressiert die Sicht der Anderen – nicht relativierend, sondern anerkennend. Zwischen Anerkennung, Widerspruch und Nachfragen entsteht kein Nebeneinander, sondern ein In-einander, in dem etwas Drittes aufscheint: „So hatte ich es noch nicht gesehen.“
Wirklogik der Perspektivenverschränkung
- Orientierung (c-me): innere Standortbestimmung statt impulsiver Reaktion.
- Anschluss (c-us): die eigene Perspektive in der Logik des Gegenübers sprechbar machen.
- Emergenz (c-me ⇄ c-us): Irritation → Einsicht → neue Handlungsoptionen (Brücke zu c-it²).
Perspektivenwechsel vs. Perspektivenverschränkung
Der oft beschworene Perspektivenwechsel bedeutet, die eigene Sicht kurzzeitig zu verlassen und die des Gegenübers einzunehmen. Er ist ein kognitiver Schritt, nützlich zur Empathie und Rolleneinnahme, bleibt aber linear: von A nach B.
Perspektivenverschränkung hingegen belässt jede Sichtweise bei sich selbst – und bringt sie zugleich in ein Resonanzgefüge. Es entsteht kein bloßer Wechsel, sondern ein Ineinander, das neue Einsichten und Handlungsoptionen hervorbringt. Die eigene Perspektive bleibt erhalten, wird aber durch die Begegnung moduliert.
Kurz: Wechsel ist Bewegung, Verschränkung ist Beziehung.
Minimal-Protokoll für die Praxis
- Fokussieren (c-me): Worum geht es mir wirklich? Was ist sagbar, was noch unscharf?
- Übersetzen (c-us): Wie klingt das in der Sprache der Anderen? Was daran ist für sie bedeutsam?
- Loopen (c-us): Paraphrasieren und Rückfragen im Modus des Verstehens: „Habe ich Sie richtig verstanden, dass …?“ – nicht als mechanisches Wiederholen, sondern als Resonanzschleife, die prüft, ob das Gemeinte erfasst ist.
- Verdichten (c-me ⇄ c-us): Gemeinsamer Kernsatz oder Leitgedanke, der das vorläufig Gemeinsame bündelt und als Orientierung für die nächsten Schritte dient.
Beispiel einer Doppeladressierung
In der Nacht vor Beginn der Invasion (23. Februar 2022) richtet Präsident Wolodymyr Selenskyj eine Fernsehrede in russischer Sprache an die Bevölkerung Russlands. Diese adressiert die eigene Nation und das Gegenüber zugleich: ein Akt der Perspektivenverschränkung, der die eigene Position nicht aufgibt, aber in die Logik der Anderen hinein spricht – und so Aufmerksamkeit, Irritation und mögliche Neubewertung erzeugt.
Rolle der Mediator:innen
- Struktur halten: erst c-me, dann c-us – keine Abkürzung direkt in Lösungen.
- Übersetzen: semantische Brücken (Wortwahl, Tempo, Adressierung) bauen.
- Resonanz sichern: Nachlauschen ermöglichen (Pausen, Paraphrasen, Prüffragen).
Poetischer Kernsatz:
Perspektiven verschränken sich dort, wo innere Klarheit die Schwelle in ein geteiltes Gespräch überschreitet – und der Raum antwortet.
Literaturhinweis
Pörksen, Bernhard (2025): Zuhören – Die Kunst, sich der Welt zu öffnen. München: Carl Hanser Verlag, insb. S. 86ff (Zur performativen Wirkung der Doppeladressierung und Perspektivenverschränkung).
🔗 Weiterführende Verbindungen
- Resonanzraum als Fundament: Resonanzraum
- Vom Kernsatz zum Erwartungsbogen: Global Goal
- Felderlogik im Überblick: Ad_Monter Raute
- Dialogische Prozessführung: Die drei Wege
- Sprache als Resonanztechnik: Sprache & Bedeutung
- Von Einsicht zu Gestaltung: Emergenz
- Glossar zentraler Begriffe: A_MMM-Glossar