Objektive Kriterien

Wie Gesetze, Verträge, Gutachten und gemeinsam außer Streit Gestelltes zwischen c-it¹, c-me, c-us und c-it² zu tragfähiger Gestaltung werden

Objektive Kriterien

Ein Stein im Fluss

Es gibt Augenblicke, in denen ein Gespräch zur Stromschnelle wird. Worte stoßen aneinander, Sätze verlieren ihr Ufer, die Orientierung wankt. Dann sagt jemand: „Aber dieses Datum stimmt doch, oder?“ – und der Raum beruhigt sich. Ein Stein liegt im Fluss, an dem sich das Wasser ordnet. In der Mediation nennen wir solch einen Moment einen Fixpunkt. Nicht, weil er absolute Wahrheit wäre, sondern weil er von allen getragen wird. Er ist außer Streit gestellt.

Diese Seite entfaltet, wie solche Fixpunkte im Ad_Monter Meta Modell (A_MMM) wirksam werden: als Verbindung von Innen und Außen, von Selbstklärung und gemeinsamer Anerkennung, von Fakt und Zukunft. Objektive Kriterien geben Halt – nicht als Monolith, sondern als Sternbild.

Drei Schichten „Objektivität“ – und warum keine davon absolut ist

Wenn wir in der Mediation von „objektiven Kriterien“ sprechen, meinen wir selten Unangreifbares. Gemeint sind Bezugspunkte, die Orientierung geben und – entscheidend – gemeinsam getragen werden. Im Prozess zeigen sich drei Schichten:

1) Formale Objektivität

Gesetze, Urkunden, Verträge. Sie bilden den Rechtsrahmen, in dem verhandelt werden kann. Dieser Rahmen ist nicht optional; er schafft Grenzen und Schutz. Zugleich braucht er Auslegung und Anwendung – er spricht nicht von selbst.

2) Externe Objektivität

Gutachten, Expertisen, Marktwerte, Benchmarks. Sie bringen Autorität von außen ein. Neutral sind sie nicht – doch sie sind nachvollziehbar, prüfbar, diskutierbar. In vielen Verfahren werden sie zur gemeinsamen Referenz, selbst wenn einzelne Parameter umstritten bleiben.

3) Prozessuale Objektivität

Was die Beteiligten im Verlauf selbst außer Streit stellen: Zahlen, Daten, Dokumente, Feststellungen. Diese Schicht ist die lebendigste: Was gestern strittig war, kann heute Fixpunkt sein – und umgekehrt. Objektivität wird hier ereignet, nicht besessen.

Im A_MMM verstehen wir Objektivität daher als Resonanzphänomen: Halt entsteht, wo formale, externe und prozessuale Ebene sich verschränken – und durch innere wie gemeinsame Anerkennung getragen werden.

Durchlauf der Raute: vom Inneren zur Gestaltung

Die Admonter Raute zeigt vier Felder, die sich nicht addieren, sondern ineinandergreifen. Objektive Kriterien werden in diesem Durchlauf wirksam:

c-it¹ – Klarheit des Streitgegenstands: Was stellen wir außer Streit?

c-it¹ ordnet Sprache, Daten, Dokumente. Hier werden objektive Kriterien sichtbar und präzisiert: Rechtsgrundlagen, Verträge, Gutachten, Protokolle. Es ist die Sphäre des Sortierens: Was gilt? Was ist belegt? Wo bestehen Mess- und Auslegungsfragen? Ziel ist nicht Überwältigung, sondern Beruhigung: Punkte, die nicht länger verhandelt werden müssen, entlasten den Prozess.

c-me – Selbstklärung: Kann ich diesen Fixpunkt innerlich tragen?

Ein Gutachten liegt vor, eine Vertragsklausel ist eindeutig – und doch entscheidet sich Wirksamkeit zuerst im Inneren. c-me fragt: „Was macht das mit mir?“ Bin ich bereit, eine Zahl, ein Datum, einen Paragraphen als geltend anzuerkennen, auch wenn er meiner Wunschlage widerspricht? Ohne diese Bejahung bleibt der Fixpunkt äußerlich, er stiftet wenig Frieden.

c-us – Gemeinsames Anerkennen: Wird der Fixpunkt geteilt?

Objektivität wird erst zum Halt, wenn Anerkennung geteilt ist. c-us ist der Resonanzraum des gemeinsamen Nickens. Hier wird nicht „gewonnen“, sondern getragen: „Ja, wir akzeptieren dieses Datum; ja, diese Bewertungsmethode soll gelten.“ Aus Faktizität wird Bezugsnorm – eine Beziehungstat.

c-it² – Gestaltung: Auf Fixpunkten bauen

Erst jetzt betritt der Prozess die Zukunft. c-it² übersetzt Fixpunkte in Vereinbarungen, Ordnungen, Strukturen. Was auf c-it¹ geklärt und in c-us anerkannt wurde, wird hier zur Architektur tragfähiger Entscheidung. Ohne Fixpunkte wäre diese Architektur luftleer; ohne innere und gemeinsame Anerkennung wäre sie instabil.

Matrix-Logik im Satz: Objektive Kriterien tragen, wenn sie in c-it¹ geklärt, in c-me geprüft, in c-us anerkannt und in c-it² fruchtbar gemacht werden.

„Ich sehe, dass es funktioniert“, sagt Emil nach der Präsentation seines Sohnes – „aber ich spüre nichts.“ Der eine spricht aus der Logik der Funktion, der andere aus der Logik der Bedeutung. Erst als beide anerkennen, dass das Bewertungsmodell und die Erzählung des Familienunternehmens Fixpunkte brauchen, wird Verhandlung möglich: Zahlen geben Halt, Sinn gibt Richtung.

„Außer Streit“ – die kleine Wortfolge mit großer Wirkung

Im Mediationsraum hat die Formulierung „außer Streit“ eine stille Kraft. Sie ist weder Kapitulation noch Triumph. Sie ist eine prozessuale Entscheidung, einen Punkt nicht länger zum Schlachtfeld zu machen – in Verantwortung für das Ganze. Drei Hinweise aus der Praxis:

1) Keine Abkürzung, sondern Ergebnis

„Außer Streit“ setzt Arbeit voraus: Klären (c-it¹), Prüfen (c-me), Anerkennen (c-us). Es ist ein Verdienst, kein Geschenk.

2) Sprachliche Präzision

Die Formel sollte konkret sein: „Die Bilanzsumme 2023 beträgt …“ – nicht: „Die Zahlen sind in Ordnung.“ Präzision macht zur Norm, was zuvor bloß Stimmung war.

3) Dokumentation als Gedächtnis

Protokolle, Beilagen, Verweise. In c-it² werden Fixpunkte nicht nur erinnert, sondern getragen: Sie stabilisieren die spätere Umsetzung.

Drei Praxisfelder – drei Weisen, wie Fixpunkte tragen

Unternehmensnachfolge

Bewertung und Abfindung sind sensible Knoten. Ein externes Gutachten wird eingebracht: Zunächst skeptisch betrachtet, werden Zahlen geklärt (c-it¹), Parameter geprüft (c-me), Anerkennung gesucht (c-us). Auf dieser Grundlage lassen sich Auszahlungsmodi, Stundungen, Sicherheiten gestalten (c-it²). Der Fixpunkt ist nicht die Zahl, sondern die geteilte Bereitschaft, auf ihr aufzubauen.

Privatstiftung

Der Stiftungsvorstand verweist auf das PSG und die Stiftungsurkunde (formale Objektivität), Begünstigte sprechen von „Fairness“. Mediation macht die Ebenen sichtbar: Das Recht ist Rahmen (c-it¹), Akzeptanz entsteht durch Selbstklärung (c-me) und Beziehung (c-us). Erst dann wird der rechtliche Fixpunkt zur legitimierten Grundlage künftiger Beschlüsse (c-it²).

Innerbetriebliche Mediation

Management und Betriebsrat geraten über Kennzahlen aneinander. Zahlen scheinen „objektiv“, werden aber unterschiedlich gelesen. Der Prozess verschiebt sich von Verteidigung zu gemeinsamer Lesbarkeit: Welche Quelle, welcher Stichtag, welche Definition? Was belegen die Zahlen, was belegen sie nicht? Sobald diese Lesbarkeit geteilt ist (c-us), entsteht Freiheit, Maßnahmen zu formen (c-it²).

Begriffsanschlüsse im A_MMM

Damit Objektivität nicht zur Überwältigungsfigur wird, nutzt das A_MMM differenzierende Begriffe:

  • Resonanzraum – der Prozess, in dem Innensicht, Beziehung und Struktur ins Gespräch kommen (Zur Seite).
  • Horizontlinien – Übergänge zwischen Feldern; Orte, an denen Sicht und Sinn sich berühren (vgl. Raute-Seite).
  • Systemkanten & Kopplungspunkte – äußere Konturen und gezielte Kontaktstellen zur Umwelt; sie schützen und koppeln zugleich.
  • Die drei Wege – Verstehen, Begegnen, Gestalten (Zur Seite): Objektive Kriterien entfalten entlang aller drei Wege Wirkung.
  • Glossar – präzise Definitionen zentraler Begriffe (Zum Glossar).

„Wenn wir diesen Punkt heute nicht mehr verhandeln, können wir das andere bewegen.“ – Der Satz fällt leise, fast entschuldigend. Und doch setzt er einen Pflock. Nicht weil die Wahrheit gefunden wäre, sondern weil das Gespräch einen Halt braucht, um weiterzugehen.

Leiser Leitfaden für die Praxis

  1. Außen klären (c-it¹): Welche Dokumente, Daten, Rechtsgrundlagen sind relevant? Was ist präzise „außer Streit“, was bleibt offen?
  2. Innen prüfen (c-me): Was fällt mir schwer anzuerkennen – Zahl, Quelle, Methode, Bedeutung? Was brauche ich, um tragen zu können?
  3. Gemeinsam anerkennen (c-us): Wie wird aus der Feststellung ein geteilter Fixpunkt? Welche Formulierung lässt alle Seiten „Ja“ sagen?
  4. Zukunft gestalten (c-it²): Welche Vereinbarungen bauen auf diesen Fixpunkten? Wie werden sie dokumentiert, überprüft, angepasst?

Dieser Leitfaden ist kein Schema, sondern ein Rhythmus. In realen Verfahren kreisen wir mehrmals durch die Raute – jedes Mal mit etwas mehr Halt.

Das Paradox der Fixpunkte

Fixpunkte stabilisieren – und gerade deshalb ermöglichen sie Bewegung. Ohne Pflöcke kein gespanntes Zelt, ohne Fixpunkte keine verlässliche Verhandlung. Objektive Kriterien sind nicht das Ziel der Mediation; sie sind Bedingung dafür, dass die Beteiligten den Raum für das Eigentliche gewinnen: Fairness, Anerkennung, neue Wege. In den Worten des A_MMM: Objektivität wird zur Resonanz, wenn sie innerlich geprüft, gemeinsam anerkannt und gestaltend verwendet wird.

Schlussgedanke – Sternbild statt Monolith

Objektive Kriterien sind keine fertigen Wahrheiten. Sie sind Signale am Himmel eines Verfahrens. Als Sternbild werden sie brauchbar, wenn wir sie verbinden: c-it¹ klärt, c-me prüft, c-us anerkennt, c-it² gestaltet. So tragen sie im Wandel – nicht weil sie unantastbar wären, sondern weil sie im Innen und im Zwischen gehalten werden.

Leitsatz (A_MMM)
Objektive Kriterien sind Fixpunkte im Wandel – sie tragen nur, wenn sie im Inneren geprüft, im Streit geklärt, im Miteinander anerkannt und in der Zukunft fruchtbar gemacht werden.