Mediation ist kein Werkzeugkasten – sondern eine Formkraft.
Dieser Essay verbindet Joseph Beuys’ Konzept der „sozialen Plastik“ mit dem mediationsbezogenen Denken des Ad_Monter Meta Modells (A_MMM). Was entsteht, wenn wir Mediation nicht als Technik, sondern als schöpferischen Raum begreifen?
Ein Text über Zuhören, Verantwortung und die stille Revolution der Beziehung.
Ein toter Hase – und eine lebendige Idee
Kürzlich stieß ich zufällig auf eine alte Aufzeichnung eines Club 2 im ORF, ausgestrahlt am 21. Jänner 1983. Joseph Beuys sitzt dort, mit wacher Ruhe, inmitten eines Kreises skeptischer Diskutanten. Er wird mit seinem legendären Satz konfrontiert: „Wie man dem toten Hasen die Kunst erklärt.“
Und doch geht es nicht um Provokation. Nicht um Provokunst. Was Beuys dort entfaltet, ist eine radikale, stille Behauptung über den Menschen:
Dass dieser nicht Objekt seiner Umstände, sondern Subjekt seiner Gestaltung ist. Dass er sich seine eigene Wirklichkeit nicht vorsetzen lassen muss. Dass er – ob im Atelier oder in der Begegnung – Gestaltendes im Sozialen ist.
Beuys nennt das: soziale Plastik – die Gestaltung von Wirklichkeit im Zwischenraum des Menschlichen.
Und während ich ihm zuhörte, wurde mir deutlich, wie sehr dieser Gedanke das trifft, was in einer Mediation – im Sinne des Ad_Monter Meta Modells – erlebbar wird:
Nicht Wiedergutmachung, nicht Technik, sondern Gestaltungskraft im Raum des Sozialen.
Ein Raum, in dem Wirklichkeit nicht verwaltet, sondern neu geschaffen wird.
Durch Beziehung. Durch Sprache. Durch Hören.
Die Revolution beginnt im Zuhören
Beuys sagte:
„Die einzige Revolution ist die menschliche Evolution.“
Und diese beginnt – so zeigt es auch Bernhard von Clairvaux – nicht im Handeln, nicht im Behaupten, sondern im Hören.
„Wenn du sehen willst, höre – das Hören ist eine Vision.“
Wirklichkeit entsteht nicht dort, wo gesprochen wird, sondern dort, wo Menschen bereit sind zu hören, was das Gegenüber meint – und was in ihnen selbst zum Klingen kommt.
Zuhören wird zur Formkraft.
Mediation als sozial-skulpturaler Prozess
Wenn Menschen sich im Rahmen einer Mediation begegnen – nicht als Gegner, sondern als Beteiligte an einem ungelösten Muster –, dann ist das kein Verwaltungsakt.
Es ist ein schöpferischer Prozess, in dem Sprache, Beziehung und Struktur neu geordnet werden.
Der Mediator bringt keinen fertigen Plan. Er bringt eine leere Schale – mit Struktur, aber ohne Vorgabe.
Was darin Gestalt annimmt, entsteht aus dem Zuhören, dem Mut und der Resonanz der Beteiligten.
Das ist nicht Wiedergutmachung. Nicht Technik. Sondern Gestaltungskraft im Raum des Sozialen.
Ein Raum, der nicht repariert, sondern formt – aus dem, was war, und dem, was möglich wird.
Formkraft verstehen
Das Ad_Monter Meta Modell (A_MMM) beschreibt diese Gestaltungskraft nicht als Methode, sondern als dreifachen Weg des Verstehens und Wirkens:
- Selbstklärung (c-me): Wo innere Bilder, Prägungen und Bedürfnisse sichtbar werden. Wo der Mensch sich nicht rechtfertigt, sondern erkennt.
- Dialogisierung (c-us): Wo Sprache nicht trennt, sondern verbindet. Wo ein Raum entsteht, der von niemandem besessen, aber von allen gemeint ist.
- Kooperation (c-it): Wo gemeinsame Strukturen nicht durchgesetzt, sondern gestaltet werden. Wo Wirklichkeit entsteht – nicht als Norm, sondern als konkrete Antwort auf Beziehung.
Mediation wird damit zur sozialen Plastik:
Ein Ort, an dem Verantwortung Form annimmt.
Ein Raum, in dem das, was ungesagt blieb, hörbar und wandelbar wird.
Eine Geste, ein Kreis, ein Ohr
Beuys hätte den Satz „Lernen vom Zuhören beim Zuhören“ vermutlich weitergedacht – als Geste, als Bild, als soziales Experiment.
Vielleicht hätte er einen Kreis aus Stühlen geformt. Vielleicht hätte er Filzohren verteilt. Oder einfach still gesessen – und zugehört, was sich verändert, wenn nichts gesagt werden muss.
Denn die Form beginnt nicht mit der Skulptur.
Sie beginnt mit der Aufmerksamkeit.
Was bleibt
Wenn Mediation gelingt, entsteht kein Kompromiss, sondern eine neue Form von Wirklichkeit – geprägt von denen, die bereit waren, anders zu hören.
„Jeder Mensch ist ein Künstler.“ – Joseph Beuys
Weil er Welt nicht erleidet – sondern gestalten kann.