Ein Essay im Vorfeld des Tags der Mediation (18. Juni 2025), inspiriert durch eine wiederkehrende Frage.
In den Rückmeldungen auf meine Essays begegnet mir immer wieder eine nachdenklich stimmende Frage – zuletzt formuliert von einem geschätzten Kollegen, der meine Arbeit seit Langem aufmerksam begleitet:
„Mich beeindruckt immer wieder, aus welchen anderen Perspektiven Du das Thema Mediation anschaust. Und ich gestehe, dass die Frage auftaucht: Warum diese Kunst mit schwierigen, konflikthaften, verworrenen Situationen noch mit diesem – auf dem Markt auch besetzten – Wort ‚Mediation‘ benennen? Auch, weil es inzwischen schon viele Mediationszertifikate gibt, die sehr ‚schmalspurig‘ ausgelegt sind. Selbst ‚Konfliktberatung‘ wäre mir zu eng gefasst. Eher eigentlich eine Art Wachstumsbegleitung für soziale Systeme?“
Diese Frage begleitet mich. Nicht als Provokation, sondern als Einladung zur Klärung: Was bleibt – von Mediation, wenn wir sie in ihrer tiefsten Intention denken? Jenseits von Zertifikaten, Berufsprofilen, Methoden?
Der folgende Essay erscheint bewusst in zeitlicher Nähe zum Tag der Mediation am 18. Juni 2025 – einem Anlass, der nicht bloß auf ein Berufsfeld hinweisen soll, sondern auf das, was Mediation im besten Sinne sein kann: eine Kunst der Resonanz. Eine Kulturtechnik des Wahrnehmens. Und – wenn wir sie ernst nehmen – eine Haltung und Beziehungsarchitektur, die soziale Systeme nicht nur begleitet, sondern mitgestaltet.
Was bleibt also von der Mediation?
Sie nennen es Mediation. Oft ist es ein Verfahren, manchmal eine Methode, gelegentlich eine Haltung. Aber was bleibt – wenn man das Wort einmal beiseitelässt? Wenn man nicht auf das Zertifikat verweist, nicht auf die Rolle, nicht auf die Standards?
Was bleibt, ist eine Kunst. Die Kunst, Räume zu öffnen, in denen etwas Neues hörbar wird. Wo Sprechen nicht nur Artikulation ist, sondern auch Hören. Wo Nichtwissen nicht Unwissen bedeutet, sondern die Bereitschaft, gemeinsam etwas entstehen zu lassen, das keiner alleine formulieren könnte.
Was bleibt, ist das Vertrauen, dass Systeme lernfähig sind – wenn sie sich selbst beobachten dürfen, ohne gleich Lösungen liefern zu müssen.
Was bleibt, ist das Ringen um Sprache. Nicht um die richtige – sondern um eine, die trägt. Eine Sprache, die nicht festschreibt, sondern in Bewegung bringt. Eine Sprache, die sich dem Konflikt nicht entgegenstellt, sondern ihn ernst nimmt – als Ausdruck innerer Widersprüche, als verdichtete Geschichte, als Schwelle zu etwas Tieferem.
Was bleibt, ist ein Mensch. Ein Mensch, der nicht über anderen steht, sondern zwischen ihnen. Ein Mensch, der nicht entscheidet, sondern hält. Nicht neutral – aber allparteilich. Nicht richtend – aber klärend. Nicht entzogen – aber auch nicht verstrickt.
Was bleibt, ist Beziehung. Nicht als Ziel, sondern als Raum. Ein Raum, in dem Klarheit wachsen darf. Ein Raum, in dem Unterschiedlichkeit nicht bedrohlich, sondern fruchtbar wird.
Was bleibt, ist das leise Wissen: Dass die Bewegung, die in einem Gespräch möglich wird, mehr verändern kann als hundert Entscheidungen im Alleingang. Dass Verständigung möglich ist – selbst dort, wo sie längst aufgegeben wurde. Und dass Mediation, so verstanden, weit mehr ist als Konfliktregelung.
Sie ist eine Praxis des Menschseins.
Erweiterung der Aufgabenstellung
In einer Zeit, in der Mediation vielfach mit Werkzeugkoffer und Verfahren assoziiert wird, zeigt sich in der Praxis ein anderer Bedarf: Es geht nicht nur um Lösungen – sondern um Prozesse, um Beziehung und um Sinn. Vielleicht ist es an der Zeit, Mediation nicht neu zu definieren – sondern weiterzufassen. Hier drei mögliche Bewegungsrichtungen:
1. Von Konfliktlösung zu Prozessreifung Mediation wird häufig als Lösungstool für akute Konflikte verstanden. Doch in vielen Kontexten – insbesondere in Unternehmerfamilien – geht es nicht um lösen, sondern um reifen lassen. Die erweiterte Aufgabe: Nicht klären, was zu tun ist – sondern begleiten, wie ein System wieder mit sich selbst in Beziehung tritt.
2. Vom Verhandlungsraum zum Sinnraum Klassische Mediation denkt in Optionen, Interessen, Lösungen. Doch in tief verschränkten Systemen brauchen Menschen nicht zuerst Entscheidungen – sondern Raum, um Bedeutung zu verhandeln. Die erweiterte Aufgabe: Nicht vermitteln zwischen Positionen – sondern ermöglichen, dass sich gemeinsame Sinnhorizonte zeigen dürfen.
3. Vom Verfahren zur Haltung in Resonanz Die methodische Sicherheit vieler Mediationsansätze steht heute einer Welt gegenüber, in der das Verstehen selbst prekär geworden ist. Die erweiterte Aufgabe: Nicht Verfahren anwenden – sondern Präsenz halten. Nicht Neutralität, sondern Resonanzfähigkeit.
Diese Perspektiven erweitern das Verständnis von Mediation – nicht als ein Feld, das verteidigt werden muss. Sondern als ein Möglichkeitsraum, der sich wandelt, wenn Menschen sich wieder ernsthaft begegnen.
Nachklang
Vielleicht ist es an der Zeit, Mediation nicht neu zu definieren – sondern weiterzufassen. Nicht als ein Feld, das verteidigt werden muss. Sondern als ein Möglichkeitsraum, der sich wandelt, wenn Menschen sich wieder ernsthaft begegnen.
Und genau darum geht es: Was bleibt, ist das Wesentliche.
Was bleibt für dich – wenn du an die tiefste Bedeutung von Mediation denkst?
Ich freue mich auf Gedanken, auf Widerspruch, auf neue Worte – und auf das gemeinsame Weiterdenken. Auch im Hinblick auf den kommenden Tag der Mediation.