Legitimität als Beziehungsgeste in der Mediation

„Legitimität“ – ein schweres Wort für einen zarten Anfang.

Was heißt es, einen Prozess begleiten zu dürfen?
Was geschieht, wenn Autorität nicht durch Macht, sondern durch Beziehung entsteht?

Dieser Essay verbindet systemisches Denken, politische Theorie und mediative Praxis –
und fragt, wie aus einer stillen Geste ein tragfähiger Raum für Wandel werden kann.

 

„Wer gibt dir das Recht, mich zu begleiten?“

Ein Essay über dienende Macht, Resonanzräume und das leise Vertrauen, das einen Prozess trägt.

„Ich weiß nicht, ob ich das darf.“

Sie sagt es leise. Fast entschuldigend. Es geht nicht um eine Entscheidung. Nicht um ein Geheimnis. Es geht um einen Satz. Den sie noch nie ausgesprochen hat.

Ein Moment, der alles trägt – oder nichts.

In diesem Moment halte ich den Raum. Nicht mit Regeln. Nicht mit Technik. Mit Präsenz. Und der Ahnung, dass Legitimität sich nicht festschreiben lässt. Sie zeigt sich – oder sie fehlt. 

Die Fragilität des Dürfens

Legitimität beginnt nicht mit der Frage, ob ich auf einer Liste stehe. Sie beginnt mit der Bewegung des Anderen auf mich zu. Oder auf sich selbst.

Legitimation

Im Admonter Meta Modell (A_MMM) ist dies der erste Schritt: c-it → c-me. Nicht ich werde gewählt – der Prozess wird gestattet.

Die symbolische Einladung, sich begleiten zu lassen, ist zart. Und alles andere als selbstverständlich.

Sie kann sich zeigen in einem Nicken. In einem Seufzen. In der Entscheidung, nicht aufzustehen und zu gehen.

In dieser frühen Phase ist Legitimität kein Status – sondern ein Zugeständnis in der Schwebe. Ein „Vielleicht“ im Blick, ein „Wenn du willst“ zwischen den Worten.

Diese Zustimmung ist verletzlich, weil sie sich nicht durch Argumente sichern lässt, sondern nur durch Haltung beantwortet werden kann: Bin ich zugewandt? Schaffe ich einen Raum, der nicht fordert, aber hält? Ist mein Dasein Einladung – oder schon Deutung?

Wer hier zu schnell wird, verliert. Nicht die Kontrolle – sondern die Beziehung.

Legitimität am Anfang ist kein Versprechen. Sie ist eine erste Öffnung. Und wie jede Öffnung braucht sie Schutz, bevor etwas durch sie hindurchgeht.

Legitimität entsteht, wo niemand dominiert

In klassischen Systemen ist Legitimität eine Frage der Autorität. In der Mediation aber – wie in vielen dialogischen Kontexten – gilt: Es gibt keine Macht allein durch Mandat. Nur Macht durch Beziehung.

Wer nur auf das Formalrecht vertraut, verfehlt die Wirkkraft. Wer Resonanz erzeugt, wird gehört – selbst ohne Titel.

Im A_MMM sprechen wir von drei Bewegungen legitimen Handelns:

  • Input-Legitimität: der Vertrauensvorschuss
  • Throughput-Legitimität: die Qualität der Resonanz
  • Output-Legitimität: das geteilte Empfinden: „Das ist gewachsen.“

Diese Dreiteilung – inspiriert von Scharpf und Zürn – wird im Modell nicht abstrakt durchdekliniert, sondern durchlebt. Der rote Resonanzraum zwischen c-me und c-us ist nicht metaphorisch – er ist das Gewebe, in dem Vertrauen sichtbar, Beziehung spürbar und Struktur lebendig wird.

Er ist spürbar. Für jene, die sich trauen, nicht sofort zu handeln.

„Das wirklich Neue lässt sich nicht machen – es lässt sich geschehen.“

Diese Struktur erinnert nicht zufällig an die Herausforderungen transnationaler Governance: Auch dort treffen autonome, oft konflikthafte Akteure aufeinander – souveräne Entitäten, die nicht durch Hierarchie, sondern durch Verhandlung, Vertrauen und Verfahren koordiniert werden müssen. Der Mediator gleicht hier einer Instanz im Soft-Law-Bereich: ohne Sanktionsmacht, aber mit Gestaltungseinfluss – über Haltung, Transparenz und prozessuale Qualität.

Legitimität entsteht dabei nicht durch Zwang, sondern durch Resonanz: Wenn sich alle Beteiligten gesehen und gehalten fühlen, wird auch eine von außen „machtlose“ Figur zu einem wirkungsvollen Resonanzpunkt. Nicht weil sie entscheidet – sondern weil sie Beziehung ermöglicht.

Zwischen Foucault und Arendt

Michel Foucault beschrieb Macht nicht als Besitz oder Zwang, sondern als jenes Geflecht von Beziehungen, das bestimmt, was gesagt, gesehen und gedacht werden kann. Macht ist für ihn produktiv – sie schafft Wirklichkeit, indem sie Diskurse strukturiert.

„Macht produziert Wissen. [...] Sie produziert Wirklichkeit. Sie produziert Subjekte.“ (Überwachen und Strafen, 1976)

In der Mediation heißt das: Der Raum, den ich halte, entscheidet mit darüber, was sich zeigen darf – und was ungesagt bleibt. Der Resonanzraum ist nicht nur akustisch, sondern epistemisch.

Hannah Arendt wiederum verstand Macht als das, was zwischen Menschen entsteht, wenn sie gemeinsam handeln. Nicht durch Herrschaft, sondern durch Beziehung, Pluralität und das Einvernehmen über eine gemeinsame Welt.

„Macht entsteht nur, wo Menschen miteinander handeln [...] Sie gehört der Gruppe als Ganzem oder gar niemandem.“ (Macht und Gewalt, 1970)

Macht ist für Arendt keine Ressource, sondern eine Erscheinung im Raum des Miteinanders – sie lebt von Freiheit, Vielfalt und gegenseitiger Anerkennung.

Genau hier findet sich der Gedanke einer dienenden Macht wieder: Nicht ich entscheide für dich, sondern ich gestalte einen Raum, in dem du dich zeigen, dich positionieren, dich mit anderen verbinden kannst. Legitimität wird hier zur Erfahrung geteilter Handlungsmacht – nicht zur Zuschreibung von Autorität.

Diese Perspektiven von Hannah Arendt und Michel Foucault bilden den Resonanzboden des Admonter Meta Modells. Sie machen deutlich: Macht wird nicht ausgeübt – sie wird verfügbar gemacht.

Wenn Legitimität kippt

Manchmal jedoch wird der Raum schal. Ein Gespräch kippt. Die Stimmen werden still – oder schrill. Und ich spüre: Ich bin nicht mehr legitim. Vielleicht, weil ich zu schnell war. Oder zu deutlich. Vielleicht, weil der Schmerz im Raum zu groß ist, um gehalten zu werden.

Legitimität ist keine Medaille. Sie wird nicht verliehen. Sie wird gespürt – oder entzogen. Und das verlangt Demut. Auch – und gerade – mitten im Prozess.

Und was bleibt?

Legitimität ist das feine Gewebe zwischen Beziehung, Struktur und Vertrauen. Sie lässt sich nicht garantieren. Aber sie lässt sich pflegen. Im Zuhören. Im Aushalten. Im Warten, bis ein Satz gesprochen werden kann, der lange gefehlt hat.

Vielleicht ist Legitimität nichts anderes als die leise Zustimmung: „Du darfst da sein.“

Nicht durch Rolle. Nicht durch Regel. Sondern durch Beziehung, Resonanz – und Vertrauen.

Quellen und Anregungen:

  • Scharpf, F. W. (1999): Regieren in Europa. Effektiv und demokratisch?Frankfurt/Main: Campus.
  • Zürn, M. (2004): Global Governance and Legitimacy Problems. In: Government and Opposition, Vol. 39(2), S. 260–287.
  • Habermas, J. (1981): Theorie des kommunikativen Handelns.Frankfurt/Main: Suhrkamp.
  • Arendt, H. (1970): Macht und Gewalt.München: Piper.
  • Foucault, M. (1973): Archäologie des Wissens.Frankfurt/Main: Suhrkamp.
  • Foucault, M. (1976): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt/Main: Suhrkamp.