Was, wenn das Verbindende zwischen KI und Mediation nicht Technik oder Methode ist – sondern die Frage nach dem Menschlichen: nach Resonanz, nach Verantwortung, nach Beziehung?
"KI ist wie ein Kind, das wir in die Welt setzen. Es lernt von uns, spiegelt unsere Werte wider und verstärkt unsere Vorurteile."
Kate Crawford
Dieser Satz hat mich nicht mehr losgelassen. Nicht, weil er alarmistisch wäre. Sondern weil er eine leise, aber tiefgreifende Frage aufwirft:
Was genau lernen wir über uns selbst, wenn wir der KI beim Lernen zusehen?
Längst ist die KI nicht mehr nur Thema von Fachkreisen – als Werkzeug zur Automatisierung ist sie in der öffentlichen Debatte angekommen. Weniger wurde darüber gesprochen, welche Rolle KI in jenen Beziehungsräumenspielen könnte, die wir sonst Mediator:innen, Supervisor:innen oder Coaches überlassen.
Könnte KI helfen, das Dazwischen sichtbar zu machen?
Von der Effizienz zur Beziehung
Der Diskurs rund um KI ist geprägt von Leistungsdaten, Promptoptimierung und disruptiven Szenarien. Alles davon hat seine Berechtigung. Und doch greift es zu kurz. Denn in meiner Praxis als Mediator und Prozessbegleiter begegnen mir Konflikte selten als lineare Entscheidungsprobleme. Sondern als verdeckte Muster, als Spannung zwischen Sichtweisen, als Zwischenräume voller Ungewissheit und Emotion.
Und gerade hier beginnt mein Nachdenken über die Rolle von KI: Was, wenn KI nicht nur Prozesse automatisiert, sondern auch hilft, diese Zwischenräume zu strukturieren, zu spiegeln, zu beleuchten?
KI als Resonanzraum?
Man stelle sich vor: Eine KI unterstützt beim Aufspüren dysfunktionaler Kommunikationsmuster in einem Familienunternehmen. Sie analysiert nicht nur Sprache, sondern auch Metaphern, Brücken und Brückenabbrüche. Sie erkennt implizite Konfliktachsen, semantische Wiederholungen, nonverbale Dissonanzen (in Videoanalysen). Noch längst keine Mediation – aber eine Resonanzhilfe.
Im besten Fall liefert eine solche KI keine Antworten, sondern Fragen. Kein Urteil, sondern einen Spiegel.
Doch genau hier liegt die Herausforderung: Welches Menschenbild steckt in der KI? Wessen Werte werden gespiegelt, wessen Vorurteile verstärkt?
Verantwortung statt Verführung
Gerade darin liegt die ethische Herausforderung: Eine KI, die fragt statt urteilt, verlangt nach klaren Grenzen.
Wenn wir KI als Reflexionsinstrument nutzen wollen, müssen wir sie bewusst gestalten. Und: wir müssen die Verantwortung für die Deutungshoheit behalten.
Die eigentliche Arbeit des Verstehens beginnt nicht mit dem Output der KI – sondern mit der inneren Resonanz darauf.
In der Sprache des Admonter Meta Modells:
KI kann den „Weg des Verstehens“ rahmen, aber nicht ersetzen. Dieser Weg beginnt in der Selbstwahrnehmung, im Übergang vom unreflektierten Konfliktgeschehen (c-it) hin zur bewussteren Auseinandersetzung mit der eigenen inneren Lage (c-me). In dieser Phase könnte KI eine Rolle spielen: als Strukturhilfe, als Spiegel für sprachliche Muster, als Instrument zur Kontextualisierung wiederkehrender Begriffe oder emotionaler Marker.
Doch Verstehen im Sinne des A_MMM ist kein rein kognitiver Vorgang. Es ist ein tastender, fragmentarischer, oft auch widersprüchlicher Prozess. KI mag Inhalte ordnen können – aber nicht das Erleben, das sich zwischen den Worten entfaltet. Sie erkennt Muster, aber nicht Bedeutung im menschlichen Sinn.
Wenn KI in diesem Frühstadium hilft, Unterschwelliges bewusster zu machen, bleibt dennoch entscheidend: Was geschieht danach? Ob aus einer Spiegelung ein echtes Verstehen wird, hängt von der inneren Bereitschaft zur Resonanz ab – und von der Umgebung, in der diese Resonanz entstehen darf.
So verstanden kann KI ein hilfreiches Werkzeug auf dem Weg des Verstehens sein. Aber sie bleibt Mittel, nicht Sinn.
Und doch reicht der Blick auf den "Weg des Verstehens" allein nicht aus. Auch auf den anderen beiden Wegen des Admonter Meta Modells – jenem der Begegnung (c-me → c-us) und jenem der Kooperation (c-us → reifes c-it) – kann KI begleitend wirken, wenn auch mit unterschiedlicher Funktion und Tiefe.
Auf dem Weg der Begegnung, dem dialogischen Raum zwischen Menschen, kann KI helfen, Strukturen für Gespräche zu schaffen, unterschiedliche Sichtweisen sichtbar zu machen oder Kommunikationsprozesse in Echtzeit zu analysieren. Sie kann Fragen vorschlagen, Gespräche protokollieren, Deutungsmuster aufzeigen. Aber sie begegnet nicht. Die eigentliche Beziehung, die Wirkung der Stimme, der Blick, die Zwischenstille – all das bleibt menschlich.
Auf dem Weg der Kooperation, wenn Menschen gemeinsam gestalten, entscheiden, Verantwortung teilen, kann KI zur Strukturierung beitragen: durch Szenarien, Simulationen, Entscheidungsbäume oder visuelle Aufbereitungen. Sie kann helfen, Komplexität zu reduzieren, Alternativen darzustellen, Folgen zu bedenken. Aber sie entscheidet nicht. Und sie trägt keine Konsequenzen.
In allen drei Wegen zeigt sich: KI ist kein Subjekt des Prozesses. Sie ist Resonanzhilfe, Strukturgeberin, Impulsgeberin. Doch das eigentliche Geschehen bleibt menschlich. Der Weg des Verstehens, der Weg der Begegnung, der Weg der Kooperation – sie alle verlangen nach Präsenz, Empathie, Urteilskraft und Widerspruchsfähigkeit.
Wenn wir KI so einsetzen, kann sie uns nicht entmenschlichen, sondern ermutigen: genauer hinzusehen, klarer zu hören, differenzierter zu gestalten.
Mediation und digitale Intuition?
Vielleicht wird KI nie empathisch sein. Aber sie könnte dabei helfen, menschliche Empathie gezielter einzusetzen. Nicht als digitale Ratgeberin, sondern als strukturierte Verstörung, als ein Impuls, der neue Fragen zulässt. Fragen wie: Was übersehen wir gerade? Welche Stimme fehlt? Was sagt die Stille?
Wenn wir KI so verstehen, kann sie zu einem echten Instrument des Wandels werden.
Nicht, weil sie unsere Konflikte löst.
Sondern weil sie uns ermutigt, genauer hinzusehen.
Ausblick: KI, Beziehung – und die Kunst der Vermittlung
Die Fragen, die dieser Essay aufwirft, bleiben nicht theoretisch. Sie berühren den Kern dessen, was wir in der CME-Mediationsausbildung vermitteln: Wie kann Verstehen gelingen – auch in komplexen, digital erweiterten Beziehungssystemen? Welche Rolle spielen Sprache, Struktur und Resonanz in der Klärung menschlicher Konflikte?
Wir widmen uns auch der Frage: Wie kann KI – bewusst eingesetzt – dazu beitragen, Muster sichtbar zu machen, ohne Beziehung zu ersetzen?
Denn auch im digitalen Wandel bleibt eines unverzichtbar: Die Fähigkeit, als Mensch zwischen Menschen Räume zu öffnen, in denen Neues möglich wird.
Erschienen im Rahmen des Tags der Mediation 2025 (18. Juni im DACH-Raum)
Vielleicht ist es gerade jetzt an der Zeit, Mediation nicht bloß als Methode, sondern als eine Kunst der Resonanz und Beziehung zu begreifen – und neu zu leben.